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Interview: Büroräume können Gewohnheiten ändern

Dr. Dieter Breithecker von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung, e. V. (BAG) erklärt, wie die Bewegung im Büro unser Wohlsein und effizientes Arbeiten fördert. Er zeigt auf, wie Büroräumlichkeiten dazu beitragen, unsere Gewohnheiten ändern zu können.

Dr. Dieter Breithecker
Dr. Dieter Breithecker

Dr. Dieter Breithecker ist Gesundheits- und Bewegungswissenschaftler. Er ist Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung in Wiesbaden. Seit 1991 ist er im Vorstand des Forums Gesunder Rücken – Besser leben e. V., Gutachter im Ausschuss für ergonomische und rückenfreundliche Qualitätsprodukte und Geschäftsführer eines Rehabilitationszentrums mit Schwerpunkt orthopädisch-traumatologische Krankheitsbilder. Die Arbeiten von Dr. Breithecker zum Thema Ergonomie und haltungsfreundliche Arbeitsplätze sind in ganz Europa, Asien, Indonesien, Nord- und Südamerika, Australien und dem Nahen Osten publiziert worden.

Dr. Breithecker, Statistiken zeigen, dass immer mehr Menschen an Fettleibigkeit leiden, während Büros das Hauptumfeld sind, in dem sie überwiegend sitzenden Tätigkeiten nachgehen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptfaktoren, an denen wir arbeiten sollten, um dies zu bekämpfen? Was braucht es, damit wir uns nicht nur körperlich, sondern auch mental und psychisch wohlfühlen?

D.B. _ In der Tat: „Sitzen tötet.“ Es wurden Unmengen an Nachweisen über die Verbindung zwischen sitzender Tätigkeit und den Hauptursachen von Morbidität (Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und einige Krebsarten) und Sterblichkeit veröffentlicht, ungeachtet der positiven Auswirkungen körperlicher Aktivitäten in der Freizeit.

Es wäre aber falsch, dafür ausschließlich das Sitzen verantwortlich zu machen. Der Hauptrisikofaktor ist Inaktivität. Wenn wir lange auf starren Stühlen sitzen, bremsen wir die so wichtige Aktivität unserer Antigravitationsmuskulatur aus. Das Erfolgsgeheimnis unserer körperlich-geistigen Gesundheit liegt aber in einer regelmäßigen muskulären Aktivität. Dieses Fasergewebe leistet nicht nur mechanische Arbeit, es ist ein großes und wichtiges Organsystem, das für das gesunde Funktionieren unserer komplexen biologischen Funktionen Verantwortung trägt. Wenn Muskelfasern beginnen sich zu kontrahieren, werden wichtige molekulare Botenstoffe freigesetzt (Proteine, Enzyme, Hormone), die sich positiv auf den gesamten Stoffwechsel im Körper auswirken. Also seht zu, dass die Mitarbeiter öfters aufstehen und/oder sich bewegen. Unser Hauptziel ist es, dass die Menschen weniger an ihren Schreibtischen festsitzen. Bewegung ist in die täglichen Abläufe zu integrieren! Es sollte maximal sechs (besser vier) Stunden gesessen werden. Die restliche Zeit sollte man stehen oder gehen.

Studie, Extrakt aus Sedus INSIGHTS Ausgabe 1 über die Notwendigkeit Gewohnheiten ändern zu müssen

Wie sehr hängt das Wohlbefinden im Büro von den physischen Gegebenheiten und der Qualität des Raums ab und wie sehr vom guten Umgang der Mitarbeiter untereinander?

D.B. _ Wohlbefinden, Aufmerksamkeit, soziale Interaktion und mentale Effizienz sind stark mit den Umweltbedingungen verbunden. Diese stimulieren uns entweder positiv oder negativ. Millionen von Sensoren auf und in unseren Körpern sammeln wichtige Informationen. Unser sensorisches System ist letztendlich der „Jongleur“, der uns physisch, mental und emotional im Gleichgewicht hält. Aufgrund unserer genetischen Disposition üben insbesondere die Reize einen positiven Effekt aus, deren Ursprung eine natürliche Quelle ist. Deshalb legen immer mehr gesundheitsorientierte Raumkonzepte Wert auf Tageslicht, gute Akustik, frische Luft und Pflanzen.

Es gibt allerdings auch ein wichtiges sensorisches System, das sich innerhalb unseres Körpers, hauptsächlich in den Muskeln und ihren Faszien, befindet. Es handelt sich um das sogenannte propriozeptive System, die Tiefensensibilität, die für unser Körperbewusstsein verantwortlich ist. Etliche Studien belegen, wie wichtig dieses sensorische System für die körperliche und geistige Vitalität ist. Unsere Tiefensensibilität benötigt also regelmäßige Bewegung, damit wir uns körperlich, geistig und sozial wohlfühlen.

Moderne Bürokonzepte sollten also nicht dafür ausgelegt werden, Bewegung zu fördern, sondern diese auch einzufordern. Es ist erwiesen, dass Bewegung auch die geistige Aktivität im Teamwork steigert. Das ist auch der Grund, warum viele Sitzungsräume oder Brainstorming-Bereiche über Stehpulte verfügen oder kleinen Gruppen ermöglichen, während des Gesprächs umherzugehen.

Wie wichtig ist es, dass man sich aussuchen kann, wo man im Büro arbeitet, und seine Haltung während der Arbeit wechseln kann?

D.B. _ Jeder Mensch hat ein anderes Wesen. Werden die individuellen Anforderungen, wie der persönliche Arbeitsrhythmus, nicht ausreichend in der Auslegung des Arbeitsplatzes berücksichtigt, geht menschliches Potenzial verloren. Unser persönliches körperliches und geistiges Wohlbefinden basiert auf komplexen biologischen und bio-mechanischen Interaktionen, die durch flexible Arbeitsplatzkonzepte gefördert werden können.

Wir brauchen offene Raumorganisationen innerhalb und außerhalb des Büros und flexible Arbeitskonzepte (nicht-territoriales Arbeiten), wo ein Gleichgewicht zwischen den Aufgaben und spontanen Arbeitsverhaltensweisen herrscht. Des Weiteren muss es auch diverse Möglichkeiten der sozialen Interaktion und Zusammenarbeit geben.

Das Ausleben von physiologischen Positionswechseln und Bewegungen kann bereits grundsätzlich durch die Möblierung der Räume beeinflusst werden. Hierzu zählen z. B. Stühle mit dreidimensionaler Flexibilität, die Möglichkeit zum Stehen und Ruhebereiche. Flexible Arbeitszeiten für einen besseren Ausgleich zwischen Arbeitszeit und Freizeit — die „Work-Life-Balance“ — sind ebenfalls notwendig.

In innovativen Arbeitsräumen findet man oft eher ungezwungene Bereiche, in denen Sitzgelegenheiten und Schreibtische die Grundsätze der Ergonomie außer Acht zu lassen scheinen. Was halten Sie davon?

D.B. _ Die Zeiten, in denen wir Verhaltensweisen dogmatisch als richtig oder falsch einstuften, gehören der Geschichte an. Menschen sind nicht dafür ausgelegt, lange Zeit in einer Position zu verharren. Sie sind dazu geschaffen, eine Vielzahl verschiedener Positionen einzunehmen und Bewegungen in einer körperlich und sozial stimulierenden Umgebung auszuführen.

Offene Arbeitsplätze und neue, flexible Arbeitsplatzkonzepte, insbesondere wenn diese mit angemessenen und bewegungsfördernden Möbeln ausgestattet sind, sind daher ein gutes Beispiel dafür, wie Räume heute bereits unser Unterbewusstsein beeinflussen, was sich wiederum intuitiv auf das Verhalten unseres Körpers auswirkt.

Entwicklungsbiologisch bedingt sind wir in der Lage, uns physiologisch „intelligent“ selbst zu organisieren, das heißt auf Stresssignale adäquat zu reagieren. Das sehen wir am besten in den natürlichen Positionswechseln eines frei stehenden Menschen. Folglich sollten wir unser autark auf Wohlbefinden ausgerichtetes biologisches System nicht durch restriktive Verhältnisse manipulieren.

Tragbare Geräte überwachen die Leistung, den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Welche Vorteile — wenn es überhaupt welche gibt – sehen Sie in solchen Geräten? Wie werden diese Ihrer Meinung nach unser Arbeitsumfeld verändern?

D.B. _ Moderne Informationstechnologie kann flexible Arbeitsplatzkonzepte wie offene Räume und nicht-territoriale Arbeit insbesondere bei sogenannten Wissensarbeitern hervorragend unterstützen. Arbeiten Sie, wo und wann Sie wollen, an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Haltungen – stehen, sitzen, gehen oder entspannen – im Büro, zu Hause oder sonst wo. Mobile Geräte leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Work-Life-Balance. In diesem Fall lässt sich ein individuellerer und gesundheitsfördernderer Rhythmus von Aktivität und Entspannung, geistiger Anspannung und Erholung umsetzen. Mobile Geräte und deren flexible Verwendung müssen Hand in Hand mit einer Unternehmenskultur gehen, die Prozesse grundsätzlich unterstützt, mit deren Hilfe Mitarbeiter ein angemessenes Arbeitsumfeld finden, in dem sie sich wohlfühlen und produktiv unter Wahrung und Förderung ihrer Gesundheit arbeiten können.

Sedus INSIGHTS

Dieses Interview ist ein Extrakt aus der Sedus INSIGHTS Ausgabe Nr. 1 „Don’t worry be healthy“.


Der vierteljährlich erscheinende Trendmonitor von Sedus ist eine Zusammenfassung neuer Entwicklungen in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt und in der Bürolandschaft. Er liefert Impulse für Neuentwicklungen und dient als Inspiration für Sie.

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